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Aus der Rechtsprechung des Gerichtsrats zu den Pflichten der Medienschaffenden

Pflichten der akkreditierten Medienschaffenden – Sanktionen bei deren Verletzung

Gemäss § 13 des Medien- und Informationsreglements der Gerichte soll die Berichterstattung in sachlicher Weise erfolgen und auf die schutzwürdigen Interessen der Beteiligten, insbesondere auf deren Privatsphäre, gebührend Rücksicht nehmen. Bei Nennung von Namen ist grosse Zurückhaltung zu üben, soweit sich die Betroffenen nicht ausdrücklich damit einverstanden erklärt haben. Auch ist jede Art von Vorverurteilung, unnötiger Blossstellung oder suggestiver Berichterstattung zu unterlassen (Abs. 1).

Vor den Gerichtsverhandlungen ist eine Kontaktnahme mit den Parteien eines Verfahrens durch die Medienschaffenden zu unterlassen, soweit es sich nicht um Behörden handelt. Mit Zeuginnen und Zeugen, Auskunftspersonen und Sachverständigen sind vor dem Erlass eines Urteils keinerlei Kontakte zulässig (Abs. 2).

Akkreditierte Medienschaffende sind für die Einhaltung der Vorschriften dieses Reglements auch dann verantwortlich, wenn an ihrer Stelle nicht akkreditierte Drittpersonen von den Gerichtsbehörden erhaltene Informationen bearbeiten (Abs. 3).

§ 15 des Medien- und Informationsreglements statuiert, dass akkreditierte Medienschaffende, die gegen diese Richtlinien verstossen, durch den Gerichtsrat verwarnt oder für eine gewisse Zeit suspendiert werden können. In schweren Fällen kann die Akkreditierung entzogen werden.

Aus der Rechtsprechung des Gerichtsrats

Verbot der Kontaktaufnahme mit Zeuginnen und Zeugen vor dem Erlass eines Urteils

Mit dem in § 13 Abs. 2 des Medien- und Informationsreglements der Gerichte statuierten Verbot, mit Zeuginnen oder Auskunftsperson vor dem Erlass des Urteils Kontakt aufzunehmen, wird die Medienfreiheit gemäss Art. 17 der Bundesverfassung (BV) tangiert. Für eine Einschränkung dieses verfassungsmässigen Rechts bedarf es einer gesetzlichen Grundlage, eines überwiegenden öffentlichen Interesses und der Respektierung des Grundsatzes der Verhältnismässigkeit (Art. 36 BV). Diese Voraussetzungen sind gegeben, wie der Gerichtsrat mit Entscheid GR.2024.1 vom 18. Februar 2025 erkannt hat.

Gesetzliche Grundlage: Das Medien- und Informationsreglement der Gerichte wurde vom Gerichtsrat Basel-Stadt erlassen, welcher sich beim Erlass der Regelungen über die Gerichtsberichterstattung durch akkreditierte Medienschaffende auf Art. 72 der Strafprozessordnung (StPO) und § 55 des Gerichtsorganisationsgesetzes (GOG) stützte. Gemäss § 55 Abs. 1 GOG kann das Reglement ein Akkreditierungssystem vorsehen, mit dem akkreditierten Medienschaffenden bestimmte Dienstleistungen gewährt werden, die im Fall von Pflichtverletzungen ganz oder teilweise wieder entzogen werden können. Nach § 12 Abs. 1 lit. e des Medienreglements wird akkreditierten Medienschaffenden – im Unterschied zu anderen an einem Strafprozess interessierten Personen – bereits vor der Hauptverhandlung die Anklageschrift ausgehändigt, womit sie auch Kenntnis von der Identität der Beteiligten erhalten. Es handelt sich damit um eine besondere Leistung des Gerichts, welche von der Informations- und Medienfreiheit nicht garantiert ist. Werden akkreditierten Medienschaffenden durch die Gerichte besondere Leistungen zu ihrer Arbeitserleichterung gewährt, so dürfen ihnen auch damit in sachlichem Zusammenhang stehende Pflichten auferlegt werden. Der in § 13 Abs. 2 des Medienreglements statuierte Eingriff steht damit im Zusammenhang mit einer durch den gleichen Erlass gewährten Leistung zugunsten der akkreditierten Medienschaffenden. Die Regelung beruht demnach auf einer hinreichenden gesetzlichen Regelung (a.a.O. E. 6.3).

Überwiegendes öffentliches Interesse: Gemäss Art. 69 Abs. 3 StPO ist das strafrechtliche Vorverfahren im Gegensatz zu den Gerichtsverhandlungen nicht öffentlich. Der Grundsatz der Geheimhaltungspflicht im Vorverfahren bis zur öffentlichen Gerichtsverhandlung dient einerseits der geordneten Durchführung der Strafuntersuchung und andererseits dem Schutz der Interessen der beteiligten Personen. Besondere Bedeutung kommt der Geheimhaltungspflicht bei Schutzmassnahmen gegenüber Opfern und zum Schutz der Persönlichkeitsrechte von Betroffenen zu. Gemäss Art. 74 Abs. 4 StPO dürfen die Behörden in Fällen, in denen ein Opfer beteiligt ist, ausserhalb des öffentlichen Gerichtsverfahrens seine Identität und Informationen, die seine Identifizierung erlauben, nur unter sehr eingeschränkten Voraussetzungen veröffentlichen. Demgegenüber wird den akkreditierten Medienschaffenden mit der Aushändigung der Anklageschrift bereits vor der Hauptverhandlung gemäss § 12 Abs. 1 lit. e des Medienreglements die Identität von Opfern in einem Zeitpunkt bekannt gegeben, in dem das Verfahren noch nicht öffentlich ist. Das Verbot der Kontaktaufnahme mit Opfern, Zeuginnen und Auskunftspersonen gemäss § 13 Abs. 2 des Medienreglements als Einschränkung dieser besonderen Leistung verfolgt den Zweck, eine Beeinflussung oder Einschüchterung der am Verfahren Beteiligten zu vermeiden. Jede Besprechung eines Sachverhalts als interaktiver Prozess ist geeignet, die Erinnerung einer befragten Person zu beeinflussen. Es ist daher zu vermeiden, dass Zeuginnen oder Auskunftspersonen vor ihrer Befragung in der Hauptverhandlung weiteren Einflüssen ausgesetzt werden. Dies gilt insbesondere für Opfer als geschädigte Personen, die durch eine Straftat in ihrer körperlichen, sexuellen oder psychischen Integrität unmittelbar beeinträchtigt worden sind. Opfer von Straftaten werden mit zahlreichen Problemen konfrontiert. In erster Linie haben sie die körperlichen und seelischen Auswirkungen der Straftat zu bewältigen (primäre Viktimisierung). Zudem müssen sie sich mit allfälligen Reaktionen ihrer Umgebung sowie mit der Strafverfolgung und der Justiz auseinandersetzen (sekundäre und tertiäre Viktimisierungen). Die Strafbehörden sind daher verpflichtet, die Persönlichkeitsrechte des Opfers auf allen Stufen des Verfahrens zu wahren (Art. 152 Abs. 1 StPO). Zur Vermeidung einer sekundären Viktimisierung und nicht zuletzt auch im Interesse einer wirksamen Verfolgung von Straftaten sind Opfer davor zu schützen, von Dritten im Zusammenhang mit dem Strafverfahren angegangen zu werden. Es besteht daher ein hohes öffentliches Interesse an der Verhinderung vorgängiger Kontaktnahmen der Medien mit Opfern zur Sicherstellung einer geordneten Durchführung der Strafuntersuchung und zum Schutz der Interessen der beteiligten Personen (a.a.O. E. 6.4).

Verhältnismässigkeit: Die Medienschaffenden haben in der Hauptverhandlung Gelegenheit, die Aussagen aller vom Gericht einvernommenen Parteien zu hören. Soweit es ihnen ein Anliegen ist, den Beteiligten im Hinblick auf ihre Berichterstattung Gelegenheit zur Äusserung zu gewähren, kann eine Kontaktnahme auch nach dem Erlass des Urteils erfolgen. Wird in den Medien aufgrund der Kenntnis der Anklageschrift vorgängig über den Gegenstand einer strafgerichtlichen Verhandlung berichtet, so ist unter Verweis auf die Geltung der Unschuldsvermutung hinreichend deutlich zu machen, dass einstweilen entsprechend der Anklage bloss ein Verdacht oder eine Vermutung besteht und eine abweichende Entscheidung des zuständigen Strafgerichts noch offen ist (GR.2019.2 vom 24. März 2020 E. 4.2). Es ist daher nicht erkennbar, inwiefern das Verbot vorgängiger Kontaktnahme mit den Prozessbeteiligten zu einer einseitigen, anklagefreundlichen Berichterstattung führen und eine ausgewogene Berichterstattung erschweren sollte (a.a.O. E. 6.5). Es liegt auch keine Benachteiligung der akkreditierten Medienschaffenden gegenüber den nicht akkreditierten Medienschaffenden vor, da die Letzteren nicht die Möglichkeit haben, im Vorfeld der Gerichtsverhandlung die Identität der Verfahrensbeteiligten aus der Anklageschrift zu erfahren (a.a.O. E. 6.6).

Wahrheitsgemässe Berichterstattung

Im Rahmen der Gerichtsberichterstattung bedeutet eine wahrheitsgemässe Berichterstattung, dass wiedergeben wird, was das Gericht entschieden und welche Gründe es dafür genannt hat. Die Medienschaffenden können entsprechend der Medienfreiheit, der Meinungsäusserungs- und Informationsfreiheit sowie der Wirtschaftsfreiheit aber auch Kommentare anfügen und dabei Kritik am Gericht, an weiteren Behörden, an den Prozessparteien oder an einem Gutachten üben. Ebenso können und sollen allfällige abweichende Auffassungen dargelegt werden, sei es unter Verweis auf die Äusserungen anderer Beteiligter oder sei es aufgrund eigener Überlegungen des Medienschaffenden. Dabei sind auch pointierte Äusserungen zulässig. Wesentlich ist dabei aber, dass Meinungsäusserungen und Kritik von den Lesenden als solche erkennbar sind. Wird zu Unrecht der Eindruck erweckt, dass eine wiedergegebene Auffassung jene des Gerichts sei, ist dies keine wahrheitsgemässe Berichterstattung. Auch entspricht ein solches Vorgehen nicht der Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten (Ziff. 3), wonach sie keine von anderen geäusserten Meinungen entstellen, und der Richtlinie dazu (Ziff. 2.3 „Trennung von Fakten und Kommentar“), wonach Journalistinnen und Journalisten darauf achten, dass das Publikum zwischen Fakten und kommentierenden, kritisierenden Einschätzungen unterscheiden kann (GR.2017.1 vom 13. März 2017, E. 2.1 [bestätigt durch AGE VD.2017.84]).

Die Pflicht zur wahrheitsgemässen Berichterstattung ist von den Medienschaffenden zu beachten, auch wenn den davon betroffenen Personen Möglichkeiten zu deren Abwehr zur Verfügung stehen. Die Publikation von Fehlinformationen kann nicht dadurch gerechtfertigt werden, dass die betroffene Person anschliessend eine Richtigstellung verlangen könne, zumal einer falschen Berichterstattung in aller Regel durch medienrechtliche Mittel wie Leserbrief, Korrektur, Gegendarstellung und Anzeige beim Presserat kaum wirksam begegnet werden kann (GR.2017.2 vom 26. Februar 2018 E. 2.4).

Wird im Vorfeld einer Gerichtsverhandlung über einen Straffall berichtet, ist nur eine Formulierung zulässig, die hinreichend deutlich macht, dass einstweilen bloss ein Verdacht oder eine Vermutung besteht und eine abweichende Entscheidung des zuständigen Strafgerichts noch offen ist. Bis dahin besteht die Unschuldsvermutung. Es genügt nicht, dass aus dem Artikel hervorgeht, dass die Gerichtsverhandlung noch aussteht (GR.2019.2 vom 24. März 2020 E. 4.2).

Schutz der Privatsphäre der Beteiligten

Die Pflicht zum Schutz der Privatsphäre der Beteiligten, namentlich von Geschädigten, ist verletzt, wenn sich – auch ohne Namensnennung – aus den Informationen der Berichterstattung auch einer durchschnittlich informierten Leserschaft bei entsprechendem Interesse die Identität der Betroffenen ohne weiteres entschlüsselt (GR.2018.1 vom 13. August 2018 E. 2.4.2). Die Offenlegung der Identität des Opfers eines Vermögensdelikts entspricht grundsätzlich keinem öffentlichen Interesse. Es besteht auch aufgrund der Wächterfunktion der Medien keine Notwendigkeit, diesen Bereich der Privatsphäre der Geschädigten offen zu legen (a.a.O., E. 2.4.3).

Nennung des Namens von Mitarbeitenden der kantonalen Verwaltung, die in Strafverfahren ihr Amt vertreten

Das Persönlichkeitsrecht auferlegt den Medien eine gewisse Zurückhaltung bei der Namensnennung in der Gerichtsberichterstattung. Soweit eine anonymisierte Berichterstattung das berechtigte Interesse der Öffentlichkeit zu befriedigen vermag, bleibt eine Namensnennung unzulässig. Eine identifizierende Persönlichkeitsverletzung bedarf zu ihrer Rechtfertigung eines triftigen Grundes. Im Bereich des Strafrechts ist die Namensnennung bei der Medienberichterstattung in den meisten Fällen entbehrlich, soweit es nicht um sogenannte Personen der Zeitgeschichte geht. Die Öffentlichkeit kann indessen ein schutzwürdiges Interesse daran haben, die Namen von Verwaltungsangestellten zu erfahren, die in Ausübung eines entsprechenden, amtlichen Spielraums mit selbständiger Entscheidungsbefugnis und Verfügungskompetenz für ein rechtswidriges Verwaltungshandeln verantwortlich sind. Die Namensnennung in der Medienberichterstattung kann jedoch nicht in jedem Fall gerechtfertigt werden, in welchem eine Person als «Obrigkeitsperson mit Amtsgewalt» auftritt. Aus dem obrigkeitlichen Handeln kann erst dann auf ein öffentliches Interesse an einer Berichterstattung mit Namensnennung geschlossen werden, wenn aufgrund der Position des Amtsträgers oder der Amtsträgerin auf einen eigenen, über die reine Vertretung des Amtes hinausgehenden Gestaltungsspielraum geschlossen werden kann (GR.2021.2 vom 27. September 2021 E. 3.2.2 und 3.2.3.2). Auch nach der Praxis des Schweizer Presserats in Anwendung der Richtlinien zur Erklärung der Pflichten der Journalistinnen und Journalisten rechtfertigt nur eine leitende staatliche Funktion mit selbständiger Entscheidungsbefugnis eine Namensnennung bei medialer Berichterstattung über deren Tätigkeit (a.a.O., E. 3.2.3.3).

Verjährung/Verwirkung aufsichtsrechtlicher Anzeigen

Das Medienreglement kennt keine Bestimmung über die Verjährung aufsichtsrechtlicher Massnahmen. Die entsprechende Gesetzeslücke ist nach objektiven Kriterien zu füllen, indem das Gericht anstelle des Gesetzgebers eine abstrakte Regel aufstellt. Das Disziplinarrecht dient der Wahrung des öffentlichen Interesses an einer korrekten Gerichtsberichterstattung. Daher ist für die Bestimmung einer allfälligen Verwirkung eines Interesses an der disziplinarischen Ahndung von Pflichtverletzungen durch Medienschaffende nicht auf das Wissen allenfalls verletzter Verfahrensparteien, sondern auf die Kenntnisnahme durch die Aufsichtsbehörde abzustellen (GR.2018.1 vom 13. August 2018 E. 1.3.2).

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