1. August-Feier auf dem Bruderholz
MedienmitteilungJustiz- und Sicherheitsdepartement
Rede von Regierungspräsident Dr. Guy Morin
Haben Sie letzte Woche Radio gehört? Wenn ja wissen Sie, wer in meiner Rede im Zentrum stehen wird. Für all jene, die den Radio – ich spreche von Radio Basilisk – nicht eingeschal-tet hatten, spiele ich noch einmal etwas ein:
((→ O-Ton Basilisk))
- Was würden die Jungen machen, wenn sie einen Tag lang Regierungsrat wären? Das nimmt den Regierun-gsratpräsidenten Guy Morin unheimlich wunder.
- Er hält an der Bundesfeier auf dem Bruderholz die 1. August-Rede und will damit auch die Jungen ansprechen.
Ich habe mir für den heutigen Anlass etwas Besonders ausgedacht: Ich wollte mit jungen Menschen ins Gespräch kommen. Ich wollte wissen, welche Probleme sie haben, was ihnen fehlt, was sie sich von uns Politikerinnen und Politikern wünschen, wo man ihrer Meinung nach mehr unternehmen müsste und was man verbessern könnte. Radio Basilisk hat eine Schulklasse von jungen Menschen befragt. Die Klasse 3b vom Münstergymnasium. Sie sind plus/minus 16 Jahre alt.
Das kommt Ihnen womöglich seltsam vor. Wieso eine 1. August-Rede, in der es nur um Jugendliche geht? Die Antwort ist einfach: Am Nationalfeiertag setzen wir uns mit unserer „Heimat“, mit unserem Umfeld, auseinander. Die Jugend ist unsere zukünftige „Heimat“. Wenn man von Jugendlichen spricht, geht es nie nur um die „Jungen“. Eltern, Lehrerinnen und Lehrer, Verwandte, Nachbarn, Menschen mit oder ohne Kinder: Das Thema „Gute Ju-gend, schlechte Jugend?“ geht uns alle an. Denn die Jugendlichen sind unsere Zukunft und wir sind für ihre Zukunft mitverantwortlich. Mit den Jugendlichen müssen wir uns auseinan-der setzen. Das schulden wir ihnen. Wir können die Jugendlichen nicht erst dann ernst nehmen, wenn sie gewalttätig werden. Wir können sie nicht als Kinder verwöhnen und über-schätzen und uns ärgern über ihre Arroganz und Ignoranz, wenn sie junge Erwachsene ge-worden sind.
Liebe Jugendliche, liebe Kinder, liebe Familien, verehrte Damen und Herren,
ich begrüsse Sie ganz herzlich im Namen vom Regierungsrat zur offiziellen 1. Augustfeier auf dem Bruderholz. Ich lade Sie ein, sich mit mir ein paar Gedanken über die Jugendlichen und über uns zu machen.
Über die Jugend lesen wir in letzter Zeit meistens negative Schlagzeilen wie zum Beispiel: „Es steht schlimm um unsere Jugend“, „Jugendliche vergewaltigen 13-Jährige“, „Stift droht seinem Lehrer mit dem Tod“ oder „Jugendbanden randalieren am Rheinweg.“ Wie wirken diese Negativschlagzeilen auf die Jugendlichen? Ich kann nur mutmassen: Sie machen wahrscheinlich wütend, provozieren, stimmen nachdenklich und demotivieren sie. Oder: Sie langweilen die Jugendlichen, weil sie schwarz malen und pauschalisieren. Viele Jugendliche fühlen sich denn auch nicht ange-sprochen und beachten sie nicht weiter. Wie wirken diese Schlagzeilen auf uns, auf uns Erwachsene und Politiker? Sie lösen Angst und Unsicherheiten aus. Sie wecken den Ruf nach neuen Verbots- und Strafnormen, kurz: nach einem härterem Umgang mit der Jugend. Ich frage mich allerdings ob wir uns damit nicht aus der eigenen Verantwortung stehlen? Im Grunde wissen wir alle, dass der Grossteil der Jugendlichen ganz anders ist als uns diese Schlagzeilen suggerieren. Die grosse Mehrheit ist rechtschaffen, friedlich, fleissig, anständig, sozial denkend, tolerant, fair und Gewalt ablehnend. Wir sind als Eltern, Lehrpersonen, Gotte und Götti, als Nachbarin und Nachbar gefordert, den jungen Menschen Werte zu vermitteln. Jedes Mal, wenn die Zeitungen über die gewalttätige Jugend berichten, folgt die Forderung nach klaren Werten auf dem Fuss. Wir müssen uns allerdings im Klaren sein, dass diese Werte unsere Werte sind. Die Jugend ist auch da, um die Werte der Erwachsenen zu hinterfragen. Darüber, was anständig ist und was nicht, wie wichtig Äusserlichkeiten sind und was es braucht, um glücklich zu sein, gerät man sich leicht in die Haare. Die verschiedenen Generationen miteinander genauso wie die jeweilige Generation untereinander. Es kann aber nie die Lösung sein, beleidigt die Gegenkeule zu schleudern und Verbote aufzustellen, wenn die Jugendlichen gewisse Werte, die wir hochhalten, nicht ganz so wichtig nehmen wie wir. Bei den Diskussionen über Verbote und Strafen müssen wir uns fragen, inwiefern wir etwas vertuschen und inwiefern wir davon ablenken wollen, dass wir womöglich bei der Erziehung unserer Kinder etwas unterlassen haben. Es ist an uns Eltern, unseren Kindern Werte wie Anstand, Sauberkeit und Nächstenliebe beizubringen und ihnen die Goldene Regel auf den Weg mitzugeben: „Tue dies, was du auch von anderen erwartest.“ Diese Aufgabe kann man nicht an den Staat delegieren.
Ich spreche von der Jugend. Wer ist das eigentlich? Was denkt sie? Was bewegt sie? Hören Sie selbst, welche kontroversen Töne angeschlagen werden, wenn man Repräsentantinnen und Repräsentanten der Jugend nach ihrer Einschätzung von Basel und von ihrem Umfeld befragt.
((→ O-Ton Basilisk))
- Ich persönlich finde, dass es in unserer Stadt relativ sicher ist und denke, dass überall etwas passieren kann.
- So wie man eine radikale Stellung einnimmt, dass wenn man beispielsweise zu fünft jemanden verprügelt, dies auch wirklich radikaler bestrafen sollte.
- Die Lehrer an der OS meinen, dass Ausländer so oder so keine Ahnung hätten. Dass sie im Allgemeinen blöd sind, die Schule nicht schaffen, so oder so auf einen einfachen Handwerksberuf hin arbeiten und dabei einen Mindestlohn verdienen. Wir müssten mehr Polizisten haben, die regelmässig kontrollieren.
- Ich wäre für ein Gesetz, wonach man Deutsch lernen muss.
- Ich denke auch mit dem Alkohol ist es nun so, dass man gar nicht mehr Alkohol kaufen darf unter 18 Jahren. Auch Bier und solche Sachen – und, ich finde das ganz sinnlos.
Diese differenzierten Voten zeigen, wie unterschiedlich auch Jugendliche bestimmte The-men sehen. Es ist kein Einheitsbrei. Was mich am meisten erstaunt hat ist, dass die Positio-nen der jungen Menschen denjenigen der Erwachsenen sehr nahe kommen. Das spricht für zwei Dinge und ich spitze absichtlich zu: Es spricht erstens dafür, dass viele Jugendliche unsere Werte kennen, sie respektieren und akzeptieren. Und es spricht zweitens dafür, dass ein Grossteil der Jugendlichen mit 16 politisch mündig ist. Nicht, weil sie unkritisch unsere I-deen und Werte übernommen haben, sondern weil sie sich ihre eigenen Gedanken machen. Darum setze ich mich für das Wahl- und Stimmrecht ab 16 ein.
Sie haben es beim ersten Zusammenschnitt bereits gehört: Die Jugendlichen sprachen wäh-rend des Gesprächs mit der Radiomoderatorin sehr unterschiedliche Themen an. Auffallend häufig ist das Thema Ausländer. Vorurteile von Lehrkräften gegenüber Ausländern, dass nicht alle die gleichen Chancen hätten, dass dies aber so sein müsste oder die Forderung, dass Ausländer deutsch sprechen müssten. Das Zusammenleben mit der ausländischen Bevölkerung beschäftigt die Jugendlichen. Vor allem durch die Schule werden sie miteinan-der konfrontiert und müssen lernen, miteinander auszukommen. Ich wage die Behauptung: Die Jugendlichen können sich differenzierter zu Ausländerfragen äusseren als viele Erwach-sene, die in Quartieren mit wenigen und sehr angepassten Ausländern leben, da sie die dringendsten Probleme aus eigener Erfahrung kennen. Hören Sie selbst:
((→ O-Ton Basilisk))
- Ich denke, in der Politik ist es oft so, dass es nur zwei Stellungen in Bezug auf Migrationspolitik gibt. Entweder man ist vollkommen gegen Ausländer – so ala SVP: Wir müssen unsere Grenzen schliessen, wir sind die Schweiz und müssen zusammen bleiben oder es heisst: Ja, wir lassen alle herein, wir brauchen sie und man lässt den enormen Missbrauch unseres Sozialwesens, unter welchem auch die Schweizer leiden, zu. Jetzt muss ein Mittelmass gefunden werden, denn einerseits können wir nicht sagen, wir wollen keine Ausländer, Ausländer sind wichtig. Erstens für unsere Wirtschaft und zweitens für unsere Kultur aber wir können längerfristig einen sol-chen Missbrauch nicht zulassen – eben mehr Leute, die mehr Arbeitslosengeld und Kindergeld haben als zum Teil Schweizer. Oder aber eben auch andere Ausländer, die wirklich enorm viel arbeiten und am Ende Probleme mit dem Geld haben. So was darf doch einfach nicht sein.
Das darf nicht sein, ich gebe dieser jungen Frau Recht. In der Ausländerpolitik muss man einen Mittelweg suchen. Ich kann der jungen Frau aber zur Antwort geben: Der Kanton Ba-sel-Stadt sucht den Mittelweg. Und ich kann dem jungen Mann, der gerne ein Gesetz fürs Deutschlernen hätte zur Antwort geben: Der Kanton Basel-Stadt hat ein Gesetz, das Aus-länderinnen und Ausländer dazu anhält, deutsch zu lernen: Das Integrationsgesetz. Für alle Gesetz, auch für das Integrationsgesetz, gilt jedoch: Gesetze, die man schafft, müssen um-setzbar sein. Gesetze, zu denen wir „ja“ gesagt haben, müssen wir umsetzen. Allen Konse-quenzen zum Trotz. Vielleicht liegt gerade darin das Problem und ich wage die These: Die Jugendlichen merken nicht, dass solche Gesetze vorhanden sind, weil wir es nicht wagen, sie konsequent umzusetzen. Ein weiterer Punkt beschäftigt die Jugendlichen: Gesetze und Strafen. Grenzen werden ü-berschritten, wenn jemand brutal zusammengeschlagen oder vergewaltigt wird. Ein junger Mann schlägt vor, härtere Strafen einzuführen. Der Psychologe Allan Guggenbühl hat kürz-lich in der Sendung Arena des Schweizer Fernsehens dafür plädiert, nicht mehr und nicht härtere Strafen einzuführen, sondern sinnvollere als dies heute immer wieder der Fall ist. Jugendliche, die Grenzen überschreiten würden, die delinquent geworden seien, müssten sofort und unmittelbar die Konsequenzen spüren, die ihre Tat habe. Sie müssten Konse-quenzen tragen, die mit der Tat etwas zu tun hätten. Ich bin vollkommen einverstanden mit Herrn Guggenbühl. Wenn jemand etwas kaputt macht, muss er dafür aufkommen. Werden wir konkret: Zum Beispiel drei Wochen Schulausschluss, um zu arbeiten, um jeden Rappen für den Schaden, den er angerichtet hat, zu begleichen. Das ist keine abstrakte Konse-quenz, die mit der Tat nichts zu tun hat. Sinnvolle Konsequenzen spüren, wenn man einen Fehler gemacht hat, das macht Sinn. Konsequenzen spüren, wenn man Grenzen über-schreitet. Das heisst aber nicht, dass sich die Jugendlichen rundum anpassen müssen. Die-se Erwartung und dieses Gefühl dürfen wir Erwachsenen den Jugendlichen nicht geben. Ei-ne „Anpassermentalität„ wollen wir nicht fördern, das ist gefährlich.
Negativschlagzeilen kann man eindämmen, meinen die Jugendlichen selber. Schlagzeilen wie „Jugendbanden randalieren am Rheinweg“ oder „15-Jährige legen mehrere Brände“ würde es viel weniger geben, wenn die Jugendlichen wüssten, wohin sie in den Ausgang gehen könnten.
((→ O-Ton Basilisk))
- Man hört öfters, „ja die Jungen streunen ja nur auf den Strassen herum und so weiter“. Dann sollte man eben mehr wie etwa Festivals und ähnliches anbieten, so dass in der Stadt etwas läuft.
- Wenn es mehr Angebote für jüngere Leute gäbe - ich denke so vor allem zwischen 13- und 16-Jährige kommen zu kurz. Ab 16 Jahren gibt es vereinzelt einige Sachen aber auch nicht wirklich viele und die altersmässig dazwi-schen liegenden sind mittlerweile Teenies und wollen ein bisschen in den Ausgang, wollen etwas unternehmen aber auf der anderen Seite gibt es einfach nichts für sie. Was sollen sie machen? Man kann einzig an den Rhein sitzen aber dann müssen sich Politiker und auch Erwachsene im Allgemeinen nicht wundern, wenn jedes Wo-chenende 15 Personen mit einer Alkoholvergiftung ins Spital kommen.
Ich muss diesen beiden Schülerinnen Recht geben. Es gibt tatsächlich wenige Orte, an de-nen sich 13 bis 16 jährige Jugendliche aufhalten können. Auch einmal länger als bis 18 oder 20 Uhr abends. Wir haben es vernachlässigt, den Jugendlichen genügend Orte und Räume zu geben, an denen sie sich treffen und ihre Freundschaften pflegen können. Darum müs-sen wir entsprechende Angebote – das Jugendkulturfestival zum Beispiel – unterstützen. Trotz allem wage ich aber zu behaupten, dass es auch Räume braucht, die unkontrolliert und „unanimiert“ sind. Es hat keinen Sinn, die ganze Stadt einzudecken mit Jugendtreff-punkten. Es braucht auch Orte, an denen sich Jugendliche aufhalten dürfen, ohne dass wir uns durch sie gestört fühlen. Und sollten sie uns doch stören, müssen wir sie ansprechen und unsere Vorbehalte aussprechen. Die Verlierer dürfen aber nicht immer die Jugendlichen sein.
Ich habe am Anfang meiner Rede von Werten gesprochen, ich schliesse den Bogen und ende auch damit. Ich sagte, wir alle müssten Jugendlichen Werte vermitteln. Ich bin nicht der Erste und nicht der Letzte, der dies sagt. Werte vermitteln. Diese Botschaft bleibt leer und ein blosses Lippenbekenntnis, solange wir uns nicht gleichzeitig bewusst sind, dass nicht alle unsere Werte absolute Gültigkeit haben. Werte vermitteln heisst darum im Ge-spräch bleiben, den Dialog suchen, darüber reden, was unsere Werte beinhalten, warum sie uns wichtig sind, was man an ihnen kritisch hinterfragen kann und warum gewisse Werte in unserer Gesellschaft unbedingt notwendig sind. Wir können alle aus solchen Gesprächen viel lernen. Die Jugendlichen zeigen uns immer wieder ein Gegenbild zu unserem wohlein-gerichteten Leben. Das ist nicht immer angenehm. Es regt einem auf und stört zuweilen. Aber es regt auch an. Das Zusammenleben verschiedener Generationen ist kein Schönwet-terprogramm. Es gehört dazu, dass man sich aneinander reibt und Konflikte miteinander austrägt. Darum ist nicht die Frage wie die Jugendlichen und die Erwachsenen ruhig neben-einander leben können, ohne einander zu stören, sondern wie Jugendliche und die Erwach-senen miteinander leben, sich füreinander interessieren, sich stören, sich versöhnen und sich respektieren können? Zum Schluss sollen die Jugendlichen zu Wort kommen, heute Abend und auch auf Radio Basilisk. Ich finde, ein Schüler bringt eine Voraussetzung für ein friedliches Zusammenleben sehr präzise auf den Punkt. Ihm übergebe ich das Schlusswort.
((→ O-Ton Basilisk))
- Es ist wichtig, dass der Staat schaut, dass die Bildung und eben auch die Sprache an die jungen Menschen mit Migrationshintergrund weitergegeben wird, dass auch soziale Unterschiede auf lange sicht kleiner werden. So-dass dadurch auch herrschende soziale Zwiste verringert werden. Bildung ist elementar.
Ihnen allen wünsche ich jetzt einen schönen und fröhlichen 1. August.