Langfristperspektiven für eine integrierte Raum- und Eisenbahnentwicklung am Hochrhein und Oberrhein
MedienmitteilungDepartement für Wirtschaft, Soziales und Umwelt
Informationsveranstaltung über Expertenempfehlungen in Basel am 23. September 2004: Gemeinsame Medienmitteilung der Kantone Aargau Basel-Landschaft Basel-Stadt der Regionalverbände Hochrhein-Bodensee und Südlicher Oberrhein sowie der Hochrheinkommission -- Die Kantone Aargau Basel-Landschaft Basel-Stadt die Regionalverbände Hochrhein-Bodensee und Südlicher Oberrhein sowie die Hochrheinkommission haben in einer gemeinsamen grenzüberschreitenden Informationsveranstaltung am Donnerstag 23. September 2004 der Öffentlichkeit das Ergebnis einer grenzüberschreitenden Expertise vorgestellt. Sie ist im Auftrag dieser Institutionen von einer Gruppe international anerkannter unabhängiger deutscher und Schweizer Experten aus den Bereichen Raum- Landschafts- und Verkehrsplanung unter dem Vorsitz von Prof. Dr. Bernd Scholl Institut für Städtebau und Landesplanung der Universität Karlsruhe innerhalb eines Jahres erarbeitet worden. Die Expertise nimmt Stellung zu den in der Öffentlichkeit Landkreisen Kommunen und Bürgerinitiativen intensiv diskutierten Bypassüberlegung und zur Führung der Transitgüter- und Personenzüge im Bereich des Ober- und Hochrheins. Hitzige Auseinandersetzungen waren durch Bypassüberlegungen der Bahnen ausgelöst worden. Die Empfehlungen sollen zur Meinungsbildung im gesamten grenzüberschreitenden Raum beitragen und auch die Arbeit der Vertreter im Trilateralen Lenkungsausschuss unterstützen.
Die Vertreter der Auftraggeber, Regierungsrat Peter C. Beyeler, Kanton Aargau, Hochrheinkommission, Regierungsrätin Elsbeth Schneider-Kenel, Kanton Basel-Landschaft, Regierungsrat Dr. Ralph Lewin, Kanton Basel-Stadt, Verbandsvorsitzender Dr. Bernhard Wütz, Regionalverband Hochrhein-Bodensee, Hochrheinkommission, Verbandsvorsitzender Otto Neideck, Regionalverband Südlicher Oberrhein, erklärten, es sei ihnen darum gegangen, in einer sehr komplexen Frage grenzüberschreitend einen sachlichen Beitrag für eine Langzeitperspektive einer integrierten Raum- und Eisenbahnentwicklung zu leisten. Deshalb habe das Expertenteam keine fachlichen Vorgaben erhalten, habe aber eng mit einem Begleitgremium aus Fachleuten der Auftraggeber zusammengearbeitet.
Die französische Seite hat im Begleitgremium mitgearbeitet. Es ist der Wunsch aller Schweizer und deutschen Auftraggeber, dass die französische Seite am weiteren Prozess der Meinungsbildung teilnimmt. Die deutschen, Schweizer und französischen Bahnunternehmen waren eingeladen an der Bearbeitung der Expertise teilzunehmen. Die Auftraggeber legen Wert darauf, dass diese Unternehmen ihren Sachverstand in den weiteren Prozess der Meinungsbildung einbringen.
Akzeptanz kann nur durch eine offene Diskussion mit allen Beteiligten und Betroffenen erreicht werden. Zu ihr soll die vorgelegte Expertise beitragen. Die Auftraggeber erwarten, dass alle Beteiligten und Betroffenen ihre Sachbeiträge zu den vorgeschlagenen Lösungen einbringen. Die heute vorgestellte Expertise steht im Internet zur Verfügung (auf den Seiten der Auftraggeber) und kann dort heruntergeladen werden. Bis Ende Dezember 2004 besteht für die Planungsverbände und Gemeinden die Möglichkeit sich zu dieser Arbeit zu äussern. Diese Anregungen werden im Anschluss geprüft und in den weiteren Prozess einfliessen.
Die Empfehlung der Experten
Das fachliche Begleitgremium hat sich in seinen Arbeiten auf Fragen im Zu- und Ablauf der Basistunnel Lötschberg und Gotthard konzentriert. Großräumige Entwicklungen und damit erreichbare Wirkungen und Verlagerungen wie etwa durch die Inbetriebnahme eines weiteren alpenquerenden Basistunnels am Mont Cenis oder am Brenner bei den quantitativen Abschätzungen wurden nicht berücksichtigt, weil derzeit nicht absehbar ist, wann mit einer Betriebsaufnahme dieser Tunnel zu rechnen ist. Allerdings ist zu bedenken, dass die Inbetriebnahme zusätzlicher Basistunnel auf lange Sicht zu Umverlagerungen des Güterverkehrs führen kann und dannzumal neue Spielräume im trinationalen Raum entstehen können.
Vor diesem Hintergrund haben die Experten des fachlichen Begleitgremiums einstimmig folgende Empfehlungen erarbeitet:
1. Abstimmung der Leistungsfähigkeiten auf die Alpentunnels!
Das System der Eisenbahnen spielt für eine nachhaltige Raumentwicklung eine bedeutende Rolle. Häufige und gute Verbindungen und Anschlüsse im Personenfern- und -nahverkehr sind Schlüsselelemente der Standortgunst der Regionen – dies auch vor dem Hintergrund der Überlastung des Strassennetzes. Die Eisenbahn am Oberrhein und Hochrhein ist ein zentraler Bestandteil einer leistungsfähigen Nord-Süd-Transversale für Europa. Diese liegt in einem Teil Europas mit der höchsten Wertschöpfung. Eine grossräumige Betrachtung ist daher erforderlich.
Dem Raum Basel kommt dabei besondere Bedeutung zu. Zu- und Ablaufstrecken, ebenso wie Knoten sollten so organisiert werden, dass ihre Leistungsfähigkeit auf die Basistunnel am Lötschberg und Gotthard abgestimmt wird. Dabei ist zu bedenken, dass die volle Leistungsfähigkeit der Basistunnel erst nach Ausbau aller Zulaufstrecken (voraussichtlich weit nach 2020) ausgeschöpft werden kann. Daraus ergibt sich die Notwendigkeit einer schrittweisen, aufwärtskompatiblen und auf die übrigen Raumfunktionen, insbesondere der Siedlungen, abgestimmten Entwicklung des Bahnsystems.
2. Auf jeden Fall erforderliche Erweiterungen des Bahnsystems!
Unabhängig von den weiter unten aufgeführten Empfehlungen sind der vierspurige Ausbau der Oberrheinstrecke mit einem Katzenbergtunnel, ein dritter Juradurchstich mit dem Wisenbergtunnel inklusive Zulaufbauwerke sowie eine zweite Schwarzwaldbrücke in Basel, unverzichtbare Bestandteile des Systems.
3. Führung der Güterzüge aus/nach Frankreich!
Um den Knoten Basel SBB (als bedeutende Drehscheibe des Personenverkehrs im Dreiländereck) zu entlasten (dicht besiedeltes Gebiet) bzw. die Spielräume für den Personenverkehr zu vergrössern, ist die Führung der französischen Güterzüge in Richtung Lötschberg und Gotthard über die deutsche Seite empfehlenswert. Die dazu erforderliche Rheinquerung sollte südlich von Müllheim gesucht werden. Die weiter nördlich als «Bestvarianten» der «Strategischen Gesamtplanung Basel - Verkehrsführung im Raum Basel» vorgesehenen Querungen (Kehl-Appenweier und Mulhouse-Müllheim) werden aus betrieblichen Gründen als nicht empfehlenswert beurteilt. Für die Weiterführung in Richtung der Basistunnel stehen die beiden Schwarzwaldbrücken und als offen zu haltende Option die Querung über den Rhein bei Birsfelden zur Verfügung. Beide Querungen erlauben es – im Gegensatz zu weiter östlich gelegenen Querungen («Hochrhein-Bypass») – immer noch, beide Basistunnel zu bedienen.
4. Optimierung der Betriebsweise des Katzenbergtunnels!
Beim Katzenbergtunnel wird empfohlen, die betrieblichen Möglichkeiten - auch zum Schutz der Siedlungen vor Lärm - bestmöglich auszunutzen. Das heißt insbesondere, einen möglichst hohen Anteil lärmintensiver Güterzüge durch den Tunnel zu führen – auch tagsüber. Dies könnte zu ergänzenden Maßnahmen führen. In Abstimmung mit den für die formellen Verfahren Zuständigen sollte geklärt werden, welche Spielräume sich ergeben oder wie diese erweitert werden könnten.
5. Neue Spange im Basler Norden!
Zur Erweiterung der Spielräume für den Eisenbahnverkehr und die Raumentwicklung im Großraum Basel wird eine Spange im Norden von Basel (im Raum St. Louis - Weil) empfohlen. Diese ist auch im Lichte von Ausbauten in Basel (z.B. «Herzstück») und unabhängig davon sinnvoll und wirksam. Die Aufgabe der nördlichen Spange besteht vor allem in der Aufnahme von trinationalem Verkehr. Sie ermöglicht aber auch eine bessere Anbindung des EAP an den Hochrhein und kann zur Erschließung zusätzlichen Siedlungsgebietes im Norden von Basel beitragen.
6. Förderung und Stärkung des grenzübergreifenden Städtenetzes!
Die Gruppe befürwortet auch die Aufnahme von Personenverkehr auf der bestehenden Strecke (Freiburg-Müllheim- Neuenburg-Mulhouse) und damit eine Stärkung der grenzüberschreitenden Städteverbindung Mulhouse-Freiburg im Rahmen des trinationalen Städtenetzes. Hingegen wird eine neue Rheinquerung von der deutschen Seite zum EAP nicht prioritär gesehen. Sie soll als Option auch nur dann weiter verfolgt werden, wenn damit andere Aufgaben als die Erschliessung des EAP für den Personenfernverkehr erfüllt werden können.
7. Steigerung der Leistungsfähigkeiten durch betriebliche Maßnahmen!
Durch betriebliche Maßnahmen sind die Leistungsfähigkeiten des bestehenden Systems zu verbessern. Erste Untersuchungen zeigen solche Möglichkeiten insbesondere auf der Schweizer Hochrheinstrecke auf. Für die Optimierung eines trinationalen Betriebssystems, welches die Erschließungsqualität der Knoten für den Personenfern- und -nahverkehr besonders gewichtet, sollten verschiedene Betriebssimulationen durchgeführt werden.
8. Lärm an der Quelle bekämpfen!
Die unbestrittene Forderung nach Bekämpfung des Eisenbahnlärms an der Quelle durch die Förderung des vermehrten Einsatzes lärmarmer Güterwagen wird ausdrücklich bekräftigt. Aktuelle Entwicklungen der Industrie zeigen ein enormes Potenzial für Lärmreduktionen auf. Zudem können neue Güterwagen mit höheren Geschwindigkeiten fahren, was die Problematik der Kapazitätseinbussen durch unterschiedlich schnell fahrende Zugstypen auf Mischstrecken mindert. Die Förderungsmechanismen sind deshalb international mit Nachdruck auf die Bekämpfung des Lärms an der Quelle auszurichten!
Erste Stellungnahme der Auftraggeber
Die Auftraggeber erklären, es sei für sie wichtig gewesen, Erkenntnisse und Empfehlungen anerkannter und unabhängiger Experten zu erhalten, um aus der Region heraus einen fundierten Beitrag zur Lösung der Probleme des Schienenverkehrs und seiner Auswirkungen auf die betroffenen Bürgerinnen und Bürger, Städte und Gemeinden zu leisten. Die Erkenntnisse seien nachvollziehbar, allerdings nicht abschliessend. In ihrer politischen Würdigung der Lösungsansätze der Experten erklärten die Vertreter der Auftraggeber, es gebe unter ihnen eine einheitliche Betrachtungsweise in zehn Punkten:
- Für unseren innerhalb Europas weit überdurchschnittlichen wertschöpfungsintensiven Bereich, ist die Erreichbarkeit von Flughäfen, Häfen und Bahnhöfen mit internationaler Bedeutung ein wichtiger Standortvorteil.
- Eine stärkere Verlagerung des Güterverkehrs von der Straße auf die Schiene ist anzustreben.
- Ein guter Personenfern- und –nahverkehr muss gewährleistet sein. Er darf dem Güterverkehr nicht geopfert werden und muss deshalb bei allen weiteren Schritten vorrangig berücksichtigt werden. Im Bereich des Personenfern- und -nahverkehrs sind Verbesserungen erforderlich (z.B. 1/2 Stundentakt bei ICEVerbindungen am Oberrhein).
- Umwegfahrten des Güterverkehrs sind zu vermeiden. Deshalb ist der Ausbau der alpenquerenden Basistunnel am Mont Cenis und Brenner zu forcieren.
- Mit der Eröffnung des Lötschberg- und des Gotthard- Basistunnels wird im alpenquerenden Verkehr ab 2007 bzw. 2015 ein Quantensprung erreicht. Die Leistungsfähigkeit der Zu- und Ablaufstrecken muss jedoch auf die Kapazitäten der Tunnel abgestimmt werden. Die Ergänzungen und Ausbauten des Schienenverkehrs müssen zügig und zeitlich abgestimmt werden.
- Alle verkehrlichen und baulichen Maßnahmen müssen die Kriterien der Nachhaltigkeit erfüllen. Sie dürfen nicht zur Zerstörung von Landschafts- und Siedlungsräumen führen. Im Gegenteil: Mit den erheblichen Investitionen für den Ausbau des Schienennetzes müssen vorhandene Defizite beseitigt und vorhandene Stärken gefördert werden. Es muss sichergestellt werden, dass zum Schutz besiedelter Gebiete Durchfahrten nach Möglichkeiten vermieden werden: Beispielsweise sollten der Katzenbergtunnel, der Adlertunnel und der dringend zu erstellende Wisenbergtunnel rund um die Uhr Güterverkehr aufnehmen.
- Vor allem beim Schienengüterverkehr bietet der Lärmschutz an der Quelle (Rollmaterial) gegenüber dem vorrangig streckenbezogenen Lärmschutz eine Reihe von Vorteilen. Alle zuständigen Stellen bleiben aufgefordert – zusätzlich zu den baulichen Lärmschutzmassnahmen an Gebäuden und der Errichtung von Lärmschutzwänden – die Reduzierung der Lärmwirkung an der Quelle als Daueraufgabe anzusehen.
- Die jeweils strengsten Umweltschutzbestimmungen innerhalb der Schweiz, Frankreichs und Deutschlands müssen Maßstab für Umweltschutzmaßnahmen im Gesamtraum sein.
- Zur Bewältigung der Probleme im Raum Basel ist der unverzügliche Bau des Wisenbergtunnels inklusive der Zulaufbauwerke und des Katzenbergtunnels unabdingbar. In diesem Kontext ist ein Bypass am Hochrhein zur Lösung der Verkehrsprobleme nicht sinnvoll.
- Lösungen mittels zweier Oberrhein-Bypässe über Strasbourg-Kehl-Appenweier und Mulhouse- Neuenburg-Müllheim sollen aus baulichen und betrieblichen Gründen ausscheiden. Bei der von den Experten erwogenen Querverbindung zwischen Frankreich und Deutschland im Raum St. Louis/Weil muss die Notwendigkeit, sowie die Auswirkungen auf die Siedlungsentwicklung , die Umwelt und den Personenverkehr und gegebenenfalls der Zeitpunkt, in dem eine solche Verbindung notwendig werden könnte, sorgfältig geprüftwerden.
Für die Auftraggeber:
Regierungsrat Peter C. Beyeler, Kanton Aargau, Hochrheinkommission,
Regierungsrätin Elsbeth Schneider-Kenel, Kanton Basel- Landschaft,
Regierungsrat Dr. Ralph Lewin, Kanton Basel-Stadt,
Verbandsvorsitzender Dr. Bernhard Wütz, Regionalverband Hochrhein-Bodensee, Hochrheinkommission,
Verbandsvorsitzender Otto Neideck, Regionalverband Südlicher Oberrhein