Nicht immer sind 117-Anrufe auch Notfälle
NewsJährlich gehen bei der Einsatzzentrale rund 180’000 Anrufe ein. Immer mal wieder werden wir Zentralisten gefragt, wer für was bei der Einsatzzentrale anruft, mit wem oder was wir uns tagtäglich beschäftigen. Gerne gewähren wir einen Blick hinter die Kulissen. Er zeigt auch, dass wir in Sekundenschnelle entscheiden müssen, welche Anrufe lebensrettende Einsätze erfordern und welche nicht.
Text: Wm 1 Vanessa Gutzwiller-Schwegler und Fw 1 Thomas Schubert
Bevor wir euch die Frage beantworten, wer uns denn so in der Einsatzzentrale anruft und zu welchem Zweck, möchten wir gerne aufzeigen, wie viele Anrufe wir in einem Jahr bewältigen. Im Jahr 2023 hatten wir insgesamt 179’266 ankommende Anrufe. Davon waren 39’445 Anrufe auf die Notrufnummer 117 und 18’564 Hilfesuchende, welche den allgemeinen Notruf 112 gewählt hatten. Davon lösten wir 34’512 Weiterungen und /oder Einsätze aus. Dazu kommen noch rund 100’000 Anrufe für weitere Abklärungen, Aufgebote, Verbindungen, Weiterleitungen und, und, und.
Wir spannen euch, liebe Leserinnen und Leser, nicht länger auf die Folter. Die folgenden Beispiele stehen für die Menschen, die uns Tag und Nacht anrufen.
Von Häuslicher Gewalt bis zur Sichtung von Ufos
Die zugeparkte Dame, welche dringend wegfahren muss. Der gestresste Passant, der beim Vorbeigehen einen Obdachlosen auf einer Parkbank liegen sah und sich ein wenig um ihn sorgte. Das Kleinkind, welches das Mobiltelefon der Eltern ergattert hat und mit den süssen Babyhänden an der Telefonsperre vorbei den Notruf auslöste. Der aufgelöste ältere Herr, welchem es soeben wie Schuppen von den Augen fiel, dass er einem falschen Polizisten in einem Couvert mehrere zehntausend Schweizer Franken übergeben hat.
Die überforderten Eltern, die gerade mit dem pubertierenden Nachwuchs im Clinch sind. Der Notfallpsychiater, der für einen Hausbesuch die Unterstützung der Polizei benötigt. Die beiden Unfallbeteiligten, welche Hilfe beim Ausfüllen des Europäischen Unfallprotokolls brauchen. Der Herr, welcher die Nummer seines Hausarztes nicht mehr weiss und verbunden werden will, oder die Automobilistin, die soeben einem Geisterfahrer auf der Autobahn ausgewichen ist.
Der in der Psychiatrie mittels Fürsorgerischem Freiheitsentzug Eingewiesene, der anruft und nicht versteht, was er in der Anstalt soll. Die besorgte Spaziergängerin, die gerade ein verletztes Eichhörnchen aufgefunden hat. Der fürsorgliche Vater, der aus Algerien anruft und sich Sorgen um seine Tochter macht, welche seit Tagen unerklärlicherweise nicht mehr erreichbar ist. Der Nachtschwärmer, der am sternenklaren Nachthimmel soeben ein Ufo gesehen haben will. Die aufgelöste Mutter, die seit einer Stunde ihr Kind sucht, das nicht vom Kindergarten nach Hause gekommen ist. Der Drogenabhängige, dem beim Dealen sein Stoff gestohlen wurde und der gerne eine Diebstahlsanzeige erstatten würde.
Die vom Ehemann gepeinigte Ehefrau, die zur Nachbarin geflüchtet ist. Der Hausbesitzer, der im Schlaf soeben durch einen Einbrecher überrascht wurde. Der erzürnte Freier, dem angeblich 1’000 Franken in der Webergasse gestohlen wurden, ohne dass er dafür eine zufriedenstellende sexuelle Leistung erhalten hatte.
Der Unterschied zwischen Wichtigkeit und Dringlichkeit
Die eingehenden Anrufe bei der Einsatzzentrale sind sehr unterschiedlicher Art. Nicht jeder Notruf ist auch ein Notfall. Wichtig und dringend ist nicht immer ganz dasselbe. Oft müssen wir die Dringlichkeit eines Vorfalles am Telefon relativieren. Leider benutzen viele Anrufende den Notruf einfach als erste Kontaktaufnahme mit der Polizei und belegen mit ihren Alltagsfragen die Leitung für die wirklich dringlichen und lebensbedrohlichen Anliegen. Zum Beispiel kann ein gestohlenes Fahrrad bei einer Polizeiwache, einem Polizeiposten oder am besten online angezeigt werden.
Die Betroffenen sind über unsere Triage oftmals nicht glücklich, da sie eine engere Betreuung erwartet haben. Entsprechend frustriert sind sie darüber, dass keine Polizei vor Ort kommt, und lassen ihren Gefühlen freien Lauf. So müssen wir uns ab und an auch «Schlötterli» anhängen lassen.
Das Herausforderndste unserer Arbeit ist zum einen der Faktor Zeit. Wirkliche Notrufe sind zeitkritisch und erfordern eine schnelle Reaktion. Zum anderen, dass wir nichts Visuelles haben und uns nur auf unser Gehör verlassen müssen. Auch die Sprachbarrieren gestalten Notrufe oftmals schwierig.
Ihr seht: Wir sind die ersten Ansprechpartner in Krisensituationen, filtern täglich unzählige Anrufe und müssen schnell entscheiden, welche Fälle echte Notfälle sind und welche nicht. Unsere Arbeit erfordert nicht nur ein hohes Mass an Urteilsvermögen, sondern auch die Fähigkeit, mit einer breiten Palette von Emotionen und Situationen umzugehen. Uns scheint vor allem wichtig, dass die Öffentlichkeit sich der Bedeutung unserer Notfallnummern 117 und 112 bewusster wird und sie verantwortungsbewusster nutzt. Dies wäre ein Beitrag dazu, dass lebensrettende Ressourcen denjenigen zur Verfügung stehen, die sie am dringendsten benötigen.