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Schockanruf: Eine Betroffene erzählt

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So sehr sich die Polizei um Aufklärung bemüht, die Telefonbetrugsmasche funktioniert noch immer. Doch warum? Weil es die Betrüger verstehen, alle Mahnhinweise zu entkräften. Sie wählen den Zeitpunkt bewusst dann, wenn jemand potenziell im Stress ist. Die Geschichten tönen echt, sie machen Angst und setzen die Betroffenen emotional unter Druck. Kurz: Die Betrüger sind Profis und psychologisch äusserst geschickt. Zudem haben sie Geduld. Hängt jemand auf, versuchen sie ihr Glück einfach beim Nächsten.

Nahaufnahme von Händen einer älteren Person auf einem Gehstock.
Symbolbild
© iStockPhoto.com

Interview: Brigitte Vogel, Leiterin Unternehmenskommunikation Kantonspolizei Basel-Stadt

Wie so ein Anruf und die Forderungen ablaufen, erläutert uns eine 57-jährige Betroffene. Sie möchte anonym bleiben, traf die Redaktion des basileaINFO aber zu einem Interview.
Sie schildert uns ihren Fall und was er bei ihr für ein Gefühl auslöste, das bis heute anhält. Wir nennen sie Nina Odermatt.

Frau Odermatt, beginnen wir von vorne.
Die erste Frage ist einfach: Was ist Ihnen passiert?
Der Anruf kam an einem Donnerstag kurz vor Mittag um ca. 11.30 Uhr. Ich war zum Essen verabredet und wollte gerade das Haus verlassen. Es klingelte auf dem Festnetz, diese Nummer kennen eigentlich nur wenige Leute. Am anderen Ende meldete sich die Polizei. Sie teilte mir mit, meine Tochter sei in einen Unfall verwickelt. Bevor ich überhaupt die Gelegenheit hatte, mich zu erkundigen, wo meine Tochter gerade sei, vernahm ich
die Stimme meiner Tochter. Ich hörte sie nur ganz kurz, sie weinte und sagte schluchzend «Mamma, ich hatte einen Verkehrsunfall». Die Stimme war identisch mit der meiner Tochter.

Die Sequenz war ganz kurz, ein paar Sekunden nur. Als ich mich weiter bei meiner Tochter erkundigen wollte, unterbrach mich der vermeintliche Polizist und sagte, dass sich jetzt gerade der Staatsanwalt auf einer anderen Leitung melde. Ich wurde aufgefordert, meine Mobilnummer anzugeben, damit mich der Staatsanwalt direkt anrufen könne. Das Festnetz solle ich «on hold» halten, also nicht auflegen. Was ich nicht mehr
weiss, ob oder welche Nummer auf dem Display erschien. 

Darf ich Sie kurz unterbrechen?
Sind Sie sicher, dass das die Stimme Ihrer Tochter war?
Ja, ohne Zweifel, das war meine Tochter. Ich habe zwei Töchter und konnte die Stimme auch direkt zuweisen.Kurz darauf meldete sich eine «Staatsanwältin», sie sprach Hochdeutsch. Sie teilte mir mit, dass meine Tochter eine junge Frau angefahren und dann Fahrerflucht begangen habe. Die junge Frau sei inzwischen verstorben. Später habe sich meine Tochter auf der Polizeiwache gemeldet und sei jetzt in Untersuchungshaft. Ich fragte, wo genau, aber diese Frage lief ins Leere. Vielmehr ging das Gespräch in hohem Tempo weiter. Da Fluchtgefahr bestehen würde, könne meine Tochter nur gegen Kaution freikommen. Es müsse aber ganz schnell gehen, das Geld könne ich an der Gerichtskasse in Basel hinterlegen. Ich war total unter Schock. 

Machten Sie persönliche Angaben oder gaben Sie Hinweise zu Ihren finanziellen Verhältnissen?
Ja und nein: Ich wurde gefragt, in welcher Beziehung ich zu Seraina Koch (Name von der Redaktion geändert) stünde. Und da sagte ich natürlich, das sei meine Tochter. Und fragte, was los sei. Und obwohl ich weiss, dass meine Tochter nie und nimmer einen Unfallort verlassen würde, setzte mein Verstand komplett aus. Ich fragte nach, von was wir da reden würden. Es hiess, die Kaution betrage über 100’000 Franken und ob ich die Möglichkeit hätte, an diese Summe zu kommen. Ich verneinte. 

Und wie ging es weiter?
Die vermeintliche Staatsanwältin wollte wissen, wie viel ich denn auftreiben könnte. Sie wies mich an, zu meiner Bank zu gehen, dabei sollte ich das Festnetz immer offen lassen. Ausserdem trichterte sie mir ein, dass ich bei Nachfragen seitens Bank sagen solle, ich wolle mir ein Kunstobjekt kaufen. Auf der Bank traf ich auf eine Angestellte, die misstrauisch wurde. Sie schob mir Zettel und Stift zu und meinte, eine solche 
Summe müsse vorgängig avisiert werden. Auf die Schnelle könne sie «nur» 25’000 Franken auszahlen. Den Rest müsse man bestellen und er könne morgen abgeholt werden. Die Staatsanwältin hörte alles mit, schliesslich wurde mir untersagt, aufzulegen. Ich verliess mit einem Couvert voll von Bargeld die Bank. 

Wann kamen Ihnen die ersten Zweifel? 
Die vermeintliche Staatsanwältin gab mir weitere Anweisungen und wohin ich jetzt gehen sollte. Sie hielt mich regelrecht in Schach und setzte weiter Druck auf. Sie sagte mir, dass ich eigentlich zur Gerichtskasse müsse, diese aber über Mittag geschlossen sei. Zudem verlangte sie von mir einen tagesaktuellen Covid-Test, ohne diesen könne ich die Gerichtskasse nicht betreten. Plötzlich sagte sie mir, sie habe gute Nachrichten: Die Versicherung meiner Tochter übernehme die Kaution. Gleichzeitig meldete sich jemand von der Bank auf mein Handy. Auf meinem Display stand der Name meiner Bank. Ein Herr meldete sich und meinte, soeben seien 25’000 Franken auf mein Konto überwiesen worden. Die Zweck dieses Manövers war wohl, dass ich das Bargeld locker übergeben könne, schliesslich kommt ja eine Versicherung dafür auf. Die Staatsanwältin lotste mich zum Blumenrain oberhalb der Schifflände, die Gerichtskasse befände sich da ganz in der Nähe. Als sie vorschlug, die Geldübergabe könne auch direkt da erfolgen, wurde ich stutzig. Wer übergibt Geld auf der Strasse? Und wer verlangt jetzt noch einen Corona-Test?

Wie haben Sie dann reagiert? 
Dann ging alles ganz schnell: Die Staatsanwältin sagte mir, dass sie jetzt eine Gerichtsbotin schicke, die das Geld abhole. Und wies mich an, einfach dort zu bleiben, wo ich gerade war. Dann endlich fiel bei mir der Groschen. Ein paar Sekunden später sprach mich eine Frau an. Ich konnte sie anschliessend der Polizei genau beschreiben. Sie hatte ein Foulard um den Kopf, auf der Hand hatte sie eine grosse Narbe. Ich sagte nur «von mir erhalten Sie nichts, gehen Sie weg!» Die Frau drehte sich unvermittelt um und ging zum Taxistand. Dort nahm sie nicht das vorderste Taxi, sondern das zweite. Das fiel mir noch auf. Ich radelte sofort zur Bank zurück und retournierte das Bargeld. Meine Angst, dass ich jetzt auch noch überfallen werde, war gross. Schliesslich wussten ein paar Kriminelle, dass ich eine grosse Summe auf mir trage.

Haben Sie versucht, Ihre Tochter via SMS zu erreichen? 
Während diesen 1½ Stunden nicht, nachher natürlich umgehend. Im Nachhinein finde ich das auch komisch, aber irgendwie kam ich aufgrund des Stresses gar nicht dazu und dachte ja, sie sei eben in Untersuchungshaft. 

Gingen Sie dann zur Polizei?
Und falls ja, wie wurden Sie «betreut»? 
Ja, ich ging umgehend zum nächsten Polizeiposten. Ich war ein Nervenbündel und sank dort regelrecht zusammen. Ich gab alles zu Protokoll und hätte mich auch jederzeit nochmals an die Polizei wenden können. Später fand ich dann heraus, dass eine ganze Gruppe von diesen Kriminellen kontaktiert wurde. Ich verkehre in meiner Freizeit in einem Verein, dem viele Geschäftsleute angehören. Da existiert eine leicht zugängliche Adressliste. Bei unserer nächsten Zusammenkunft stellte ich fest, dass ich nicht die einzige Betroffene war. Doch darüber gesprochen wurde nicht wirklich, zu gross sind die Scham und das Unbehagen. 

Wie geht es Ihnen heute? Bleibt etwas zurück? 
Zuerst hatte ich regelrecht Angst, in meine Wohnung zurückzukehren. Diesen hautnahen Kontakt zu einer kriminellen Organisation fand ich unheimlich, schliesslich kennen sie meinen Namen, meine Telefonnummern sowie irgendwie auch meine finanziellen Verhältnisse. Nach einigen Monaten legte sich das ungute Gefühl. Klar fragte ich mich, warum ich der Masche aufgesessen bin. Aber das ist ja genau der Trick: Als meine Tochter ins Spiel kam, setzte bei mir der Verstand aus. Sie war damals gerade in den Prüfungen, und ich dachte nur, sie soll diese unter allen Umständen absolvieren können. Dieser Druck ist genau die Masche, das habe ich jetzt verstanden. Ich schäme mich nicht dafür, dass ich fast ein Opfer wurde. Was bleibt, ist eine grosse Demütigung.