Orientierung fürs Planen und Bauen: Der Basler Kompass
Der Basler Kompass dient den Mitarbeitenden von Städtebau & Architektur (S&A) als Orientierungshilfe im Koordinatensystem der Nachhaltigkeit. Der Kompass ist richtungsweisend für sämtliche Abteilungen von S&A und moderiert die Zusammenarbeit mit den Planungspartnerinnen und -partnern. Er fokussiert auf die Vorbildfunktion der öffentlichen Hand, insbesondere um den CO2-Ausstoss im gebauten Raum auf Netto-Null zu senken. Zugleich zeigt er auf, wie dies kosteneffizient erreicht werden kann.
Reflexionen aus einer post-fossilen Zukunft
In einem fiktiven Rückblick schildert Philipp Noger, Leiter der Fachstelle umweltgerechtes Planen & Bauen S&A, wie die gebaute Umwelt in Basel durch den Basler Kompass verändert wurde.
Wieder ist es spät geworden, gestern Abend. Ich war zu einer Feier des Kantons eingeladen. Die Feier hatte mit meinen Tätigkeiten in der Stadt Basel während der 2020er Jahre zu tun: Endlich konnte die versprochene CCS-Carbon-Capture-and-Storage-Anlage in Betrieb genommen werden. Ein paar Jahre verspätet, aber immerhin!
Es war schön, all die Mitstreiterinnen und Mitstreiter aus den vergangenen Jahren wieder mal zu sehen. Glücklicherweise war ich nicht der Einzige, dem man das Alter ansah: Wir alle sind – zusammen – älter geworden. Die Herausforderung damals war gross; viele waren verunsichert, einige orientierungslos, andere hilflos. Man wusste theoretisch, was zu tun war. Aber man hatte keine Ahnung, wie das gehen sollte. Oder man traute sich ganz einfach nicht.
Dabei war es ein unsichtbarer Stoff, der uns beschäftigte: Kohlendioxid, CO2. Wir, die Kinder des ausgehenden 20. Jahrhunderts, kannten CO2 vornehmlich als Sprudel in der Coca-Cola. Oder – etwas später – vom Prickeln im Prosecco. Wirklich wahrnehmen, konnten wir das Kohlendioxid nicht : Es war unsichtbar, weder zu riechen noch zu schmecken, nicht giftig (immerhin…), und es liess sich kaum festhalten oder wegsperren. Genau genommen war niemandem von uns klar, was man sich unter einem Kilogramm Kohlendioxid vorzustellen hat. Aber die Mengen, die im 20. Jahrhundert freigesetzt wurden, stimmten nachdenklich. Denn auch Paracelsus hatten wir noch im Ohr: «Allein die Dosis macht, dass ein Ding kein Gift ist.»
Weil wir das CO2 nicht messen konnten, mussten wir rechnen. Und wir mussten viel rechnen! Die Ökobilanz wurde zur Methode des Jahrzehnts. Dank ihr wurden qualifizierte Entscheide überhaupt erst möglich. Viele fanden das nicht lustig ; es war aber schlicht unumgänglich. Zum Glück war die Mathematik, die dazu nötig war, bescheiden: Eine Milchbiechli-Rechnung war ausreichend.
Heute sind wir froh, dass die Basler Bevölkerung damals so rasch und energisch gehandelt hat: Die Klimagerechtigkeit wurde 2022 in der Verfassung verankert und der Regierungsrat verabschiedete eine Klimaschutzstrategie mit griffigem Aktionsplan, die in der Schweiz Vorbildcharakter hatte. Der Kanton Basel-Stadt ist nicht nur bezüglich Geschwindigkeit (Netto-Null bis 2037!), sondern auch inhaltlich mutig vorangegangen.
Heute, beim Spaziergang durch die Stadt, ist mir aufgefallen, wie wenig sich die gebaute Umwelt in all den Jahren verändert hat. Die allermeisten Gebäude – auch solche, die schon damals niemand schön fand – stehen immer noch! An ihnen wird gebaut: Viele Handwerkerinnen und Handwerker arbeiten vor Ort; sorgfältig reparieren und unterhalten sie die Gebäude. Die vielen Lastwagenfahrten, mit denen früher massenhaft als «obsolet» bezeichnetes Material aus der Stadt weggeführt und neue Baustoffe in die Stadt gebracht wurden, entfallen. Auch Kräne gibt es kaum noch. Die Nutzungspotenziale der bestehenden Gebäude wurden situativ und kontinuierlich erschlossen, allenfalls wurde aufgestockt, fast immer verdichtet, und man staunt, in was für «Häusern» heute alles gewohnt und gearbeitet werden kann. In der Elisabethen-Kirche habe ich damals ja schon gelegentlich einen Kaffee getrunken. Aber das hätte ich noch vor einigen Jahren nicht für möglich gehalten.
Die vielen Erweiterungen, An- und Ausbauten ergänzen den Bestand, zugegebenermassen nicht immer in ästhetisch gleich gelungener Weise. Bauteile aus dem 20. Jahrhundert werden (wie Versatzstücke aus dem fossilen Zeitalter) in den Erweiterungsbauten eingefügt. Neu gebaut wird kaum noch, und falls doch, sieht man bei genauerem Hinschauen, dass auch hier Materialien und Bauteile sorgfältig eingepasst werden, damit sie später demontiert und wiederverwendet werden können. Geklebt wird nicht mehr; überhaupt findet sich nur noch sehr wenig Kunststoff auf den Baustellen. Die meisten Materialien sind nachwachsend oder erdbasiert und rezyklierbar. Dank dem Willen zum konsequenten Erhalt des Bestandes gelang es sogar erstaunlich gut, die Vorgaben des damals brandneuen Standards «SNBS-Areal» auch in den Transformationsarealen einzuhalten.
Ein junger Projektleiter von S&A erzählte mir beim Apéro, dass sie aktuell sogar Mühe hätten, genügend Recyclinggranulat für die noch benötigte, wenn auch geringe Menge an konventionellem Beton zu finden. Es werde schlicht und einfach nichts mehr abgerissen! Ich hätte ihn fragen sollen, ob die Materialpässe und die Bauteilscreenings, die wir damals mit dem Aktionsplan initiiert haben, heute tatsächlich in einer zentralen Datenbank zusammengeführt sind.
AM RHEINKNIE GIBT ES MEHR ALS 200 WILDBIENENARTEN
Bei den Strassen und Plätzen sieht es dagegen ganz anders aus. Während im Hochbau «additiv» gearbeitet wird, dominiert im Tiefbau die Subtraktion. Hier wird fast nur noch rück- und umgebaut. Die transformierten, begrünten Plätze und Strassen werden von der Bevölkerung geschätzt und lebhaft in Beschlag genommen. Es war heute schon wieder so heiss! Ich war echt froh, dass zur Mittagszeit unter den Bäumen noch ein Bänkli frei war, obwohl viele Menschen eine kurze Siesta machten. Denn das Klima hat sich schon verändert. Und heute habe ich wieder viel mehr kurze Hosen im Schrank – genau wie ganz früher als Kind!
Viele Bäume sind auffallend jung, «erst» 20 oder 30 Jahre alt. Aber man sieht, dass sie viel Platz zum Wachsen haben, nicht nur Restflächen! Vor allem unterirdisch, für die Wurzeln, scheinen noch beträchtliche Entwicklungsreserven vorhanden zu sein. Es ist augenfällig, dass die Bäume präzise in die gebaute Umwelt eingeplant wurden, dass sie sorgfältig und nach städtebaulichen Grundsätzen gepflanzt wurden. Und es braucht nicht viel Phantasie, um sich vorzustellen, wie mächtige Kronen sie am Ende des Jahrhunderts haben werden. Schade, bin ich schon so alt, ich würde das wirklich gerne sehen.
In den Strassen und auf den Plätzen herrscht natürlich immer noch viel Betrieb. Kein Wunder, die flächendeckende Versiegelung wurde so weit wie möglich reduziert, Asphaltierungen wurden wo möglich aufgerissen, und heute durchzieht ein feines Netz von sickerfähigen, grünen Ritzen die ganze Stadt. Zudem ist mir aufgefallen, wie viele Häuserwände, vor allem diejenigen ohne Fenster und Türen, heute begrünt sind. Das wäre natürlich schon damals möglich gewesen, aber ich glaube, es brauchte den Basler Kompass, um die Aufmerksamkeit dafür zu schärfen.
Überhaupt fühlt man sich im öffentlichen Freiraum wohl. Es herrscht eine «situative Kleinräumigkeit». Die ganze Stadt besteht aus einem Mosaik von Lebensraumnischen für Menschen, Pflanzen und Tiere. Einige der Retentionsbecken, die für die Bewässerung der Grünflächen genutzt werden, wurden diesen Sommer sogar extra geflutet, damit die Kinder ihren Spass haben. Allerdings : Die schöne Waldhummel habe ich trotzdem auch heute nicht gesehen. Sie war schon damals aus dem Mittelland verschwunden, konnte sich in Basel aber gerade noch halten. Heute finden wir diese Hummelart nur noch in den Jurahöhen – eigentlich verwunderlich, galt sie doch lange Zeit als ausserordentlich wärmeliebend…
Dafür kommen am Rheinknie auch heute über 200 Wildbienenarten vor. Aufgrund ihrer kleinräumigen, bescheidenen Lebensraumansprüche konnten sie sich im städtischen Raum behaupten. Dazu tragen auch die ökologisch hochwertigen Dachbegrünungen bei, auf Dächern, die zugleich zur Stromerzeugung genutzt werden.
Ohnehin fällt auf, wie selbstverständlich das gestalterische Potenzial der Photovoltaik-Anlagen heute in der Architektur genutzt wird. Sogar in den Fassaden. Heute werden nachhaltiges Bauen, eine effiziente Dämmung und PVFassaden als Notwendigkeit und als integraler Bestandteil einer zeitgemässen Baukultur verstanden. Nur so war es letztendlich möglich, das Hauptziel, die klimaneutrale Stadt, fast zu erreichen.
Und lustig war auch unser letzter Punkt: «Stadt mit Vision». Viele fanden die Formulierung bescheiden. Aber die im Basler Kompass gestellte, vermeintlich simple Aufgabe, in jedem Projekt etwas «Neues» zu machen, hat rückblickend unglaublich viel ausgelöst. Was haben wir nicht alles ausprobiert und erfunden ! Einiges hat auch tatsächlich funktioniert, anderes war nur heisse Luft. Vielleicht hätten wir rückblickend der seltsamen Idee mit den … damals doch eine Chance geben sollen!
Schön wäre, die nächste Generation würde es morgen noch mal damit versuchen!
Der Basler Kompass: 7 Punkte zum postfossilen Planen und Bauen
① Baukultur, nachhaltig!
– Wir arbeiten ganzheitlich im Sinne der Nachhaltigkeit.
– Wir nutzen das Vorhandene.
– Wir lösen Probleme mit guter Architektur.
② Klimaneutrale Stadt
– Wir vermeiden CO2 im Betrieb.
– Wir reduzieren CO2 in der Erstellung.
– Unsere Bauten produzieren Energie.
③ Ressourcen schlau nutzen
– Wir bauen im und mit dem Bestand.
– Wir bauen einfach und kreislauffähig.
– Wir verwerten mineralischen Rückbau wieder.
④ Stadt mit Aufenthaltsqualität
– Wir planen lebenswerte Freiräume.
– Wir planen nach dem Prinzip der Schwammstadt.
– Unsere Gebäude gewährleisten ein gesundes Klima.
⑤ Stadt als Lebensraum
– Wir verbessern die Qualität des Lebensraums.
– Wir fördern alterungsfähige Grossbäume.
– Joker-Massnahmen
⑥ Umweltgerecht entscheiden
– Wir entscheiden umweltgerecht.
– Wir beschaffen umweltgerecht.
– Wir lernen.
⑦ Stadt mit Vision
– Wir machen Neues.
Wohin führt der Basler Kompass?
Der Basler Kompass ist ein Arbeitsinstrument für die Mitarbeitenden der Dienststelle Städtebau & Architektur (S&A).
Er wurde im Rahmen der übergeordneten Arbeiten zum Netto-Null-Ziel entwickelt, welches die Stimmbevölkerung des Kantons Basel-Stadt für das Jahr 2037 gesetzt hat. Mit diesem Ziel vor Augen hat der Regierungsrat im September 2023 die kantonale Klimaschutzstrategie verabschiedet. Der Klimaschutzaktionsplan konkretisiert die erforderlichen Massnahmen in verschiedenen Handlungsfeldern. Im Handlungsfeld Bauen wird gefordert, die direkten Emissionen aus dem Betrieb zu eliminieren und die indirekten Treibhausgase aus der Erstellung auf ein Minimum zu reduzieren.
Netto-Null ist ein komplexes Thema und das Netto-Null-Ziel scheint heute noch fern und kaum erreichbar – der Basler Kompass ist dagegen mit Absicht einfach und kurz gehalten. Die 7 Punkte nennen und erläutern die wichtigsten Handlungsfelder für das Planen und Bauen und machen Zielvorgaben für die nächsten Jahre. Der Basler Kompass will Orientierung bieten, befähigen und motivieren. Für die Projekte von S&A ist der Kompass richtungsweisend, aber auch für andere Planende bietet er eine Richtschnur für das CO2-neutrale Bauen.
In den Diskussionen während der Erarbeitung wurde deutlich, dass Nachhaltigkeit nicht ausschliesslich über die Reduktion des CO2-Ausstosses erreicht werden kann. Neben dem Verzicht auf Öl und Gas müssen gleichzeitig viele weitere Herausforderungen angegangen werden. Die Städte weltweit haben dabei eine zentrale Rolle inne. Denn es ist offensichtlich, dass die globale Klimakrise zum Grossteil in den urbanen Gebieten gelöst werden muss: Hier liegen sowohl Risiken als auch Potenziale.
Der urbane Raum ist geeignet, langfristig einen Netto-Null-kompatiblen Lebensstil für viele Menschen zu ermöglichen. Wir müssen dafür in den Städten Lebensbedingungen schaffen, in denen wir als Menschen unsere Fähigkeiten und unsere Kreativität frei entfalten können.
Der Basler Kompass baut auf den Vorgaben von Bund und Kanton Basel-Stadt auf. Im Sinne der Vorbildfunktion der öffentlichen Hand formuliert er anspruchsvolle Zielvorgaben und Handlungsanweisungen für unsere Planungs- und Bauprojekte. Der Kompass unterstützt insbesondere dabei, vorhandene Spielräume zu erkennen und gezielt zu nutzen. Daneben gibt es Rahmenbedingungen, welche von S&A nicht oder nur indirekt beeinflusst werden können. Die Verantwortung für diese Weichenstellungen liegt oft bei unseren Kolleginnen und Kollegen anderer Dienststellen in der Verwaltung, insbesondere auf der Besteller- und der Nutzerseite.
Um auch bei schlechtem Wetter oder auf offener See zuverlässig die Orientierung zu bewahren, braucht es einen Kompass. Er zeigt aus jeder Position und immer zum Nordpol. Für S&A gibt der Basler Kompass seit diesem Jahr die zukunftsfähige Richtung vor: Jetzt braucht es alle an Bord ! Nur mit vereinten Kräften können die gesteckten Ziele erreicht werden. Deshalb: «Klar zum Ablegen. Kurs hart Netto-Null!»
Autor: Philipp Noger, S&A, Fachstelle umweltgerechtes Planen & Bauen
Städtebau & Architektur
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